Augmented Reality an Bord
Der Innenausbau von Schiffen ist ressourcenintensiv. Hunderte von Ingenieuren arbeiten über den Globus verteilt an den Großprojekten. Lebensgroße Visualisierungen in Augmented Reality (AR) helfen dem Experten für Schiffsinnenbau R&M Group jetzt, die Entwicklung zu optimieren.
Ob Restaurants und Kinos für Kreuzfahrtschiffe, Badezimmer auf Mega-Yachten oder Kabinen und Lüftungssysteme für Fähren und Expeditionsschiffe: Mehr als 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit planen, designen und entwickeln bei der R&M Group die Innenausstattung von Schiffen und maritimen Einrichtungen. „Der Innenausbau bestimmt ganz besonders den Charakter und den künftigen Komfort an Bord“, bekräftigt Dr. Calvin Brett, Director IT & Digitalization bei der R&M Group. „Deshalb wollen wir Vorreiter für unsere Kunden sein und zeigen, wohin die Reise im modernen Schiffsinnenbau geht.“ Das Unternehmen hat sich schon früh zum Ziel gesetzt, an der Spitze für die Verwendung von Digitaltechnik im Schiffsbau zu sein. „Mit Augmented Reality können wir Prozesse neu denken und neue Services entwickeln“, so Brett. Der Einsatz von Augmented Reality im Schiffbau ermöglicht es der R&M Group etwa, den Innenausbau von Schiffen so flexibel und kollaborativ wie möglich zu gestalten. Konkret hilft die Technologie dabei, die Zusammenarbeit zwischen weltweit ansässigen Ingenieur- und Projektteams zu erleichtern und gleichzeitig schneller auf Änderungswünsche von Kunden zu reagieren.
Vom Computer in die Realität
Aufmerksam auf die AR-Technologie wurde Calvin Brett durch ein Projekt beim Schiffbauer thyssenkrupp Marine Systems, bei dem der Planungs- und Montageprozess von U-Booten mittels immersiver Technologien deutlich kürzer und wirtschaftlicher gestaltet werden konnte. Dementsprechend war eine Idee, die vorhandenen 3D-Daten der Konstruktionen bereits im Planungsprozess verfügbar zu machen, ohne reale Modelle bauen zu müssen. „Zwei Herausforderungen, die wir hatten, waren die Größe der Daten und die nötige Serverinfrastruktur“, berichtet Brett. Je komplexer das Modell, desto größer die Datenmenge und die erforderliche Speicher- und Rechenkapazität. Eine Anforderung, die mobile AR-Geräte schnell an ihre Grenzen bringt.
Um die komplexen 3D-Modelle beim Schiffinnenausbau visualisieren zu können, bedarf es ausgelagerter Rechenpower. „Wir haben uns deshalb für eine Lösung entschieden, die sowohl über lokale Server als auch die Cloud läuft“, beschreibt der Director IT & Digitalization den Auswahlprozess. Die AR Software AR3S von Holo-Light ermöglicht es dank integrierter Streaming-Technologie, komplexe 3D-CAD-Daten als Hologramme über die AR-Brille HoloLens 2 in realer Umgebung zu visualisieren und kollaborativ zu bearbeiten. „Ausgeführt in der Cloud können wir die Software zudem flexibel und standortunabhängig nutzen. Das hilft uns auch bei der Skalierbarkeit der Lösung“, so Brett weiter.
Globale Kollaboration leicht gemacht
Stichwort Skalierbarkeit: An diversen Großprojekten bei R&M arbeiten bis zu 100 Ingenieure an Standorten in Deutschland, Finnland, Norwegen, Indien und China. Eine Herausforderung, wenn sich die Kommunikation um ein komplexes 3D-Objekt dreht. „Kollisionsanalysen oder Modifikationen am Modell lassen sich schwer über virtuelle Kommunikations-Tools wie Teams oder Zoom besprechen“, bestätigt Brett. Die Ingenieurteams mussten oft lange Reisen antreten, um vor Ort Modelle zu diskutieren. „Dadurch, dass wir mit AR3S nun gemeinsam 3D-Modelle visualisieren und kollaborativ von verschiedenen Standorten bearbeiten, können und wollen wir unseren Reiseaufwand und somit auch unseren Carbon-Footprint deutlich reduzieren“, so Brett. Augmented Reality helfe, Dinge sehr gezielt anzusprechen sowie in Echtzeit am Modell Lösungen aufzuzeigen.
In AR3S können sich sämtliche Stakeholder standortunabhängig über die AR-Brille HoloLens 2 oder ein Tablet beziehungsweise Smartphone zu einer virtuellen Besprechung einfinden und dabei gemeinsam an 3D-CAD-Objekten arbeiten. Dies stellt nicht nur eine reibungslose abteilungs- und werksübergreifende Zusammenarbeit sicher – Komponenten und Endprodukte können so auch bereits im Erstentwurf wesentlich besser aufeinander abgestimmt werden. Revisionen in Augmented Reality haben zudem den Vorteil, dass die Fachbereiche inkonsistente Details, leicht zu übersehende Designfehler oder nötige Modifikationen im Modell schnell erkennen und beheben können. Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den globalen Ingenieursteams müssen zudem schnell angelernt werden. „Auch unseren Wissenstransfer optimieren wir mit AR“, ergänzt Brett folglich. „Wenn wir zum Beispiel den Vorgang der Kollisionsanalyse bildlich darstellen und auch in AR erlebbar beziehungsweise durchführbar machen, erzielen wir ganz andere Lerneffekte und weisen neue, internationale Teammitglieder schneller ein.“
Kundenzufriedenheit mit AR steigern
Bevor die Produktion der Materialien final beginnen kann, werden heute noch Mockups, meist im 1:1 Maßstab, abseits des eigentlichen Schiffes gebaut und dem Kunden vorgestellt. „Mit AR können wir dem Kunden nicht nur einzelne Ausschnitte zeigen, sondern auf Wunsch auch das komplette Atrium mit all seinen Komponenten – vom Bodenbelag bis hin zu Notausgängen. Das hat Kunden schon zum Staunen gebracht“, kommentiert Brett. „Und wir können Kunden direkt mehrere Ideen zeigen, weil man die 3D-Modelle einfach verändern und flexibel im Raum umstellen kann, ohne dass wir direkt alles neu bauen und neu verzonen müssen.“
„Indem wir Kunden mit Augmented Reality Entwürfe bereits in der Planungsphase erlebbar machen, mögliche Probleme und Ideen diskutieren, vermeiden wir unnötige Prototypen und benötigen weniger Revisionen“, sagt Calvin Brett. So können Kunden vorab testen, ob alle Komponenten den Anforderungen entsprechen, richtig platziert und bestimmte Auflagen erfüllt sind. „Auch in der interkulturellen Kommunikation hat uns das sehr geholfen, um schneller Entscheidungen zu treffen.“ So sei es normal, dass ein Kunde aus China vielleicht andere Vorstellungen habe als das Ingenieursteam in Deutschland. Am virtuellen 3D-Objekt können die Beteiligten mögliche Differenzen schnell und verständlich klären.
Die Vorteile von Augmented Reality im Schiffbau
AR unterstützt dabei, den Kunden bereits während der Planungs- und Konstruktionsphase des Schiffsinnenausbaus stärker in den Prozess einzubeziehen und entsprechend die Kundenzufriedenheit zu steigern. Zugleich ist es ein absoluter Vorteil, sich auf ein Kollaborationstool zu stützen, das es Mitarbeitenden ermöglicht, über große geografische Distanzen hinweg an 3D-CAD-Daten zu arbeiten. Kürzere Entwicklungszeiten, ein abgestimmtes Ineinandergreifen von unterschiedlichen Fachgebieten im Entwicklungsprozess und damit effizientere Lösungen sind die Folge.
„Wir wollen die Vorteile der Technologie sowohl intern als auch für unsere Kunden künftig noch stärker promoten“, verkündet Brett. Augmented Reality biete die Möglichkeit, Produktivitätslücken zu vermeiden und schaffe langfristig die Basis für eine effizientere Kollaboration und Teamarbeit im gesamten Produktentwicklungsprozess – von der Planung über das Design bis zur Umsetzung. „Allerdings müssen wir auch bereit sein, uns von der in vielen Fällen gewünschten Haptik beziehungsweise dem Anfassen zu verabschieden. Es wird sicher noch einige Zeit dauern, bis wir unsere Kunden für AR gewinnen können, aber wir sind überzeugt von den Vorteilen der Augmented Reality.“